Der Neustart nach US-Art: Ein Blick ins amerikanische Insolvenzrecht
Während in Deutschland das Wort „Insolvenz“ oft mit einem endgültigen Scheitern assoziiert wird, bietet das amerikanische Recht einen anderen, oft überraschenden Weg: den „Neustart“ (fresh start). Das US-amerikanische Insolvenzsystem, das weitaus häufiger in Anspruch genommen wird als das deutsche, ist nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Privatpersonen zugänglich. Doch wie genau funktioniert das?
Ein System der zweiten Chance
Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2000 kam in den USA auf jeden 215. Einwohner ein Konkurs, während es in Deutschland nur jeder 2050. war. Diese immense Diskrepanz liegt unter anderem in den Besonderheiten des US-Rechts begründet, das den Verbraucherkonkurs als einen Weg zur Entschuldung und zum beruflichen Neuanfang ermöglicht.
Das Herzstück des amerikanischen Insolvenzrechts ist der Bankruptcy Code. Er unterscheidet im Wesentlichen zwischen zwei Arten des Konkurses: der Liquidation (Auflösung des Vermögens) und der Reorganisation (Sanierung).
Die wichtigsten Formen des Konkurses
Der Bankruptcy Code gliedert die verschiedenen Verfahren in sogenannte „Chapters“:
- Chapter 7 – Liquidation: Dieses Verfahren führt zur vollständigen Auflösung des Schuldnervermögens, um die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Für Privatpersonen bedeutet dies, dass lediglich das bestehende Vermögen – und nicht das monatlich verfügbare Einkommen – zur Entschuldung herangezogen wird. In der Regel erfolgt die Restschuldbefreiung bereits nach wenigen Wochen. Ein weiterer Vorteil: Nach sechs Jahren kann erneut ein solches Verfahren eingeleitet werden.
 - Chapter 11 – Reorganisation (Unternehmenssanierung): Hier behält der Schuldner die Kontrolle über sein Unternehmen, um es zu sanieren. Er arbeitet einen Sanierungsplan aus, der die Verteilung von Vermögenswerten an die Gläubiger regelt. Ein bekanntes Beispiel für eine Sanierung nach Chapter 11 war der Fall des Unternehmens Kmart.
 - Chapter 13 – Reorganisation (Verbrauchersanierung): Bei diesem Verfahren für Privatpersonen muss der Schuldner unter Überwachung eines Treuhänders einen vom Gericht genehmigten Zahlungsplan einhalten, der mindestens drei Jahre läuft und auch das verfügbare Einkommen der Schuldner miteinbezieht. Nach erfolgreicher Durchführung werden die verbleibenden Schulden erlassen (discharge).
 
Wichtige Begrifflichkeiten und ihre Bedeutung
Das US-amerikanische Insolvenzrecht kennt einige zentrale Konzepte:
- Konkursmasse (bankruptcy estate): Grundsätzlich fällt das gesamte Vermögen des Schuldners in die Konkursmasse, unabhängig davon, wo es sich befindet. Allerdings gibt es Ausnahmen. In vielen Bundesstaaten sind Teile des Vermögens, wie das selbst bewohnte Haus (homestead exemption) oder Rentenzahlungen, bis zu bestimmten Wertgrenzen vom Konkursverfahren ausgenommen. In einigen Staaten wie Florida und Texas sind sogar Immobilien im Millionenbereich „konkursfest“.
 - Vollstreckungsverbot (automatic stay): Mit der Einreichung des Konkursantrags tritt ein automatisches Vollstreckungsverbot in Kraft. Gläubiger dürfen ab diesem Moment keine Forderungen mehr eintreiben. Dieser „automatic stay„ schützt den Schuldner und verschafft ihm Zeit, seine finanzielle Situation zu ordnen.
 - Rangfolge der Gläubiger: Bei der Verteilung der Konkursmasse wird eine klare Rangordnung eingehalten: Zuerst werden abgesicherte Gläubiger (secured creditors), dann vorrangige Gläubiger (priority creditors) und schließlich nicht abgesicherte Gläubiger (unsecured creditors) bedient.
 
Der Unterschied zwischen Deutschem und US-Insolvenzrecht
Das deutsche und das US-amerikanische Insolvenzrecht unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten.
Der „Fresh Start“ vs. die Restschuldbefreiung
Ein Kernunterschied ist die zugrunde liegende Philosophie. Während in den USA der fresh start im Vordergrund steht, ist in Deutschland die Restschuldbefreiung das Ziel. Das US-amerikanische Insolvenzrecht ist stärker auf den Neuanfang ausgerichtet, was sich insbesondere in der Dauer der Verfahren zeigt. Eine Restschuldbefreiung kann in den USA unter Umständen bereits nach wenigen Wochen erreicht werden.
Das deutsche Verfahren dauert im Vergleich dazu wesentlich länger. Für Insolvenzverfahren, die nach dem 1. Oktober 2020 beantragt wurden, beträgt die Dauer in der Regel drei Jahre. Vorher konnte das Verfahren sogar bis zu sechs Jahre dauern.
Verschiedene Arten von Verfahren
Die Systematik der Insolvenzverfahren ist in beiden Ländern unterschiedlich.
- USA: Das US-Recht unterteilt Verfahren in klar definierte, separate „Chapters“:
- Chapter 7 (Liquidation): Der Fokus liegt auf der Auflösung des Schuldnervermögens.
 - Chapter 11 (Reorganisation): Dieses Verfahren dient der Sanierung von Unternehmen, wobei das Management oft im Amt bleibt (Debtor in Possession).
 - Chapter 13 (Verbrauchersanierung): Ein spezielles Verfahren für Privatpersonen, die über ein regelmäßiges Einkommen verfügen.
 
 - Deutschland: Hier wird primär zwischen der Regelinsolvenz für Unternehmen und Selbstständige und der Verbraucherinsolvenz für Privatpersonen unterschieden. Auch in Deutschland ist die Sanierung ein Ziel, das oft im Rahmen der Eigenverwaltung angestrebt wird – einem Konzept, das dem Chapter 11 der USA ähnelt.
 
Vermögenswerte in der Insolvenzmasse
Auch bei der Behandlung von Vermögenswerten gibt es bemerkenswerte Unterschiede.
- USA: Die Insolvenzmasse umfasst grundsätzlich das weltweite Vermögen des Schuldners. Allerdings gibt es großzügige Ausnahmeregelungen, die je nach Bundesstaat unterschiedlich sind. Sogenannte „homestead exemptions“ erlauben es dem Schuldner, sein Eigenheim zu behalten, teilweise sogar ohne Wertgrenze.
 - Deutschland: Die Insolvenzmasse umfasst ebenfalls das gesamte pfändbare Vermögen. Ausnahmen für das Eigenheim, wie sie in den USA existieren, gibt es in Deutschland jedoch nicht. Grundsätzlich werden lediglich unpfändbare Teile des Einkommens und bestimmte unpfändbare Gegenstände ausgenommen.
 
Vollstreckungsschutz
Ein weiterer wichtiger Unterschied betrifft den Schutz vor Gläubigern.
- USA: Der automatic stay ist ein sehr mächtiges Instrument. Mit der Einreichung des Insolvenzantrags stoppen fast alle Maßnahmen der Gläubiger, wie Klagen oder Pfändungen, sofort.
 - Deutschland: Ein vergleichbarer Schutz tritt erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. Gläubiger dürfen ihre Forderungen nicht mehr einzeln durchsetzen, sondern müssen sie beim Insolvenzverwalter anmelden. Dieser Schutz ist jedoch nicht so weitreichend wie der „Automatic Stay“ in den USA.
 
Die Rolle der Insolvenz in der Gesellschaft
Statistiken zeigen, dass es in den USA deutlich mehr Insolvenzen pro Kopf gibt als in Deutschland. Dies lässt sich wohl auch auf die oben genannten Unterschiede zurückführen: Das US-amerikanische fresh start-Modell macht eine Insolvenz weniger stigmatisierend und die Verfahren sind oft einfacher zu handhaben.
Dieser Einblick zeigt, wie sich das amerikanische Recht vom deutschen unterscheidet und warum eine präzise Übersetzung juristischer und finanzieller Begriffe von entscheidender Bedeutung ist. Als Übersetzerin für Recht, Wirtschaft und Finanzen sorge ich dafür, dass die Feinheiten und die beabsichtigten rechtlichen Wirkungen solcher Konzepte in der Zielsprache exakt wiedergegeben werden.

				
				
				